Moskaus Krieg gegen die Ukraine war lange vorbereitet und auf Lügen aufgebaut, doch selbst in Moskau rechneten nicht alle mit dem Ausmaß der Angriffe. Dass er den Westen vor "Einmischung" warnt, ist beispiellos - und sollte zu denken geben.
Der Zeitpunkt, die Inszenierung, die Worte: Alles penibel vorbereitet. Als Waldimir Putin sich am Donnerstag an seine Bürger wendet, ist es 5:40 Uhr Moskauer Zeit, und am anderen Ende der Welt in New York tagt die UN in einer Dringlichkeitssitzung zur Bedrohung der Ukraine. Er will der Welt offenbar zeigen, wie sinnlos ihre Bemühungen zur Deeskalation sind. Putin will Krieg, und nur das zählt.
Das „Kiewer Regime“
„Das Kiewer Regime“, sagt er da, habe einen „Genozid“ an Bürgern Russlands zu verantworten, und dafür werde es zur Rechenschaft gezogen. Man werde die Ukraine darum „demilitarisieren und entnazifizieren“, sagt er weiter, hinter seinem Schreibtisch sitzend.
Es sind Behauptungen, die keine Grundlage haben, das ist weitgehender Konsens aller Beobachter. Und noch mehr: Seine Kriegserklärung fügt sich ein in eine Reihe an Behauptungen, die alle nur das Ziel hatten, einen militärischen Angriff auf die Ukraine zu rechtfertigen. Seit Tagen trommelt das russische Staatsfernsehen angebliche Angriffe der ukrainischen Streitkräfte auf die Separatisten, die als „Angriff auf Russland“ dienen sollen – teilweise plump inszeniert und leicht enttarnbar. Am Ende machte sich der Kreml nicht mal mehr die Mühe machte, eine „False Flag“-Operation auszuführen – also einen Angriff der Ukraine in die Schuhe zu schieben, wie westliche Geheimdienste immer vermuteten -, sondern nahm schlicht den Hilferuf der Separatisten aus dem Donbass zum Anlass, um in die gesamte Ukraine einzumarschieren.
Warnung an den Westen
Dass Putin auch den letzten Akt mit historischen Details begründete, sollte dem Westen zu denken geben. Schon seit geraumer Zeit ist das russische Narrativ geprägt von einer Weltsicht wie in der UdSSR, von der Inszenierung in Zentralkommittee-Manier gar nicht zu reden. Auch jetzt spricht Putin davon, dass er den Fehler Stalins nicht wiederholen werde, 1941 nicht in einen Angriffskrieg gegen Nazi-Deutschland zu ziehen: „Ein zweites Mal werden wir einen solchen Fehler nicht zulassen“, sagt er im TV – Stalin habe den „Aggressor“ nicht provozieren wollen.
Es ist eine Umkehr der Tatsachen, wie Putin sie oft betreibt. Kiew sein Militär seit Tagen angewiesen hat, die Füße still zu halten – um ja keinen Angriff Russlands zu provozieren. Der Aggressor, das ist heute Russland.
Selbst innerer Zirkel ist „im Schock“
Mit welcher Aggression Putin die ganze Ukraine angreift – Bombardements wurden ja auch im Westen gemeldet -, ist selbst für russische Beobachter irritierend. Selbst im Inneren Machtzirkel seien viele „im Schockzustand“, schreibt Tatjana Stanovaya, russische Politikwissenschaftlerin. Putin habe die Entscheidung letztlich wohl allein getroffen, wird gemutmaßt; eine völlige Invasion werde definitiv nicht von all seinen Getreuen mitgetragen, analysiert sie.
Die Frage ist daher nicht nur, was das Ganze für die Ukraine heißt – sondern auch für den Westen. Den zeichnet Putin in seiner Rede nämlich mittlerweile nicht mehr als Verhandlungspartner, sondern als „Imperium der Lügen“, das Russland systematisch betrogen habe. In Jugoslawien, dem Irak, Libyen oder Syrien – der Westen habe immer das Völkerrecht gebrochen, sagt er. Dass er kurz danach sein Angriff auf die souveräne Ukraine mit dem Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta rechtfertigt, ist dementsprechend „absurd“, wie der Politikwissenschaftler Gerhard Mangott auf Twitter schreibt.
"Nukleare Antwort"
Für Europa und die NATO ist aber auch eine andere Botschaft nicht zu überhören: Putin warnt den Westen nämlich, sich in den Konflikt einzumischen – die Reaktion Russlands darauf werde „zu Konsequenzen führen, die Sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben“. Ob er damit militärischen Beistand oder auch nur Waffenlieferungen meint, lässt er freilich bewusst unklar.
Genau deshalb ist das ist eine wirklich ernst zu nehmende Drohung, wie auch Mangott schreibt: „Putin droht allen Staaten, die in diesen militärischen Konflikt eingreifen wollten, fast unverhohlen mit einer nuklearen Antwort.“
„Ich hoffe, dass ich gehört werde“, sagt Putin noch zum Schluss.